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Februar 2021

Lass das Suchen, sie finden Dich. Vom Bücherkaufen

Als der Zug um 10:46 aus dem Bahnhof hinausfuhr, hielt sie den Kopf gesenkt vor Scham, dass die Stadt, die fast zehn Jahre lang ihr Wohnort gewesen war, keine Buchhandlung gewollt hatte.  Penelope Fitzgerald, Die Buchhandlung

Ein Satz, den man mehrmals lesen muss. Zumindest mir ging es so. Eine Stadt will keine Buchhandlung. Abgesehen vom traurigen Schicksal der Hauptfigur Florence, die so gekämpft hat und doch aufgeben muss, ist diese Tatsache markerschütternd. Und machen diesen letzten Satz zu einem der traurigsten, die man je gelesen hat. So schreibt es auch David Nicholls in seinem Nachwort.

Sie sind einfach da

Zum Glück habe ich ihn nicht an dem Tag gelesen, als mir das Buch begegnete. Ich war niedergeschlagen, zerzaust und verletzt. Mir hatte jemand sehr wehgetan. Hilf- und ziellos lief ich durch Berlin in der Hoffnung, das Tohuwabohu in meinem Inneren möge sich legen. Wie oft in solchen Momenten steuerte ich ohne Nachzudenken eine Buchhandlung an.

Anders als an dem Tag, an dem das Foto entstand, wollte ich gar nichts kaufen. Wollte nur die sortierende Aura der Bücher auf mich wirken lassen. Suchte Trost. Den ersten, kleinen, können Bücher manchmal besser spenden als Menschen, weil sie sich nicht bemühen. Sie sind einfach da. Schauen Dich an. Murmeln vor sich hin. Oder schweigen.

Die Immergreifbaren

Von Penelope Fitzgerald hatte ich noch nie gehört. Mein Blick streifte am Taschenbuch-Regal entlang, traf sich mit dem Titel, ich zog den schmalen Band hinaus und ging damit zur Kasse. Wie ein Einkaufs-Roboter. Gelesen habe ich es erst Tage später. Halt und Stärkung bei Menschen zu suchen und zu finden war vorerst wichtiger. Lange stand das kleine große Werk bei den Immergreifbaren auf meinem Schreibtisch. Seit einiger Zeit steht ein anderes Buch an seiner Stelle. Dieses gehört, mit seinen vielen Lieblingssätzen, seinem melancholischen Sound und dem bedrückenden Ende, in eine zu Ende gegangene Lebensphase. Ich will beides, die Lektüre und diese Zeit, nicht missen.

Auch in den sonderbaren Monaten seit dem Frühjahr 2020 betrat ich häufig Buchhandlungen, um wieder Boden unter den Füßen zu gewinnen. Was für ein Geschenk, dass sie in Berlin offen bleiben durften. „Bücher sind Lebensmittel“ hieß es. Auch für die Seele. Weiß jeder, der sie zum Leben braucht wie Licht und Körperkontakt.

Versgeflüster

Das Gemüt bewegt sich wieder in ruhigen Gewässern. An den Ufern und Häfen: Büchertürme noch und nöcher. Ich habe also keinen Grund, welche kaufen zu gehen. Doch ein Leben ohne Besuche in den Lieblingsbuchhandlungen? Dafür reicht meine Phantasie nicht. Also ziehe ich ab und zu los. Mit einer großen Tasche, einem Buch für den Hinweg und manchmal sogar einer Liste mit ersehnten Titeln.

Doch in Buchhandlungen gelten andere Regeln und ihre Bewohner führen ein eigenes Leben. Sie lassen sich nicht suchen. Sie finden Dich. Zwinkern Dir zu. Lassen ihren Titel kurz aufleuchten. Oder das Gesicht einer lange vernachlässigten Autorin. Flüstern ein paar Verse. Erinnern Dich mit ihrem Cover an einen besonderen Tag oder, speziell in dieser Zeit, an einen vermissten Menschen.

Seltene Würdigung

So erging es mir in der Buchhandlung Marga Schöller nahe Savignyplatz mit „Was möglich ist“ von Werner Rohner (Lenos), das erste Buch, zu dem ich griff. Lotte Lasersteins „Liegendes Mädchen auf Blau“ sah ich in der Berlinischen Galerie zu einer Zeit, als wir noch keine Ahnung hatten, was auf uns zukommt. Ich stand lange davor und kann es auch heute stundenlang ansehen. Jetzt sogar auf einem Cover. Und an die Freundin denken, die damals an meiner Seite war.

„Hier wird getanzt!“ Der für eine Buchhandlung recht laute Ruf kam aus der skandinavischen Ecke. An der gehe ich nie vorbei, seit ich den Guggolz-Verlag kenne. Nicht nur die Texte sind von großer Kraft und die Ausstattung herrlich. Die Übersetzerinnen und Übersetzer stehen auf dem Cover. Eine Würdigung, die ich erst zu schätzen weiß, seit ich Isabel Bogdan porträtiert habe, die deutsche Stimme von Jane Gardam. Einer Stimme, die zum Tanzen aufruft, konnte ich nicht wiederstehen. Nicht in diesen Tagen.

Tauben und Spatzen

Und nicht der Berlin-Ecke. Der leergefegte Savigny-Platz und sein alleingelassener Bruder Alex hatten mir wieder mächtig zugesetzt. Neben wenigen verstreuselten Menschen kündigten nur die Tauben vom einstigen Trubel auf dem Pflaster. Vielleicht sprang mich deswegen Ringelnatz an. „Wie ein Spatz am Alexanderplatz“. Die Vögel halten die Stellung und vergnügte Poesie immer aufrecht. Und kleine Häuser wie den be.bra-Verlag am Leben zu erhalten, ist mir vornehmste Pflicht, nicht nur in der Not.

Zukunft lesen

Ich widerstand der Verführung weiterer Titel und besuchte meinen zweiten Lieblingsort am Platz. Auch die Autorenbuchhandlung räumt den unabhängigen Verlagen viel Platz ein. Und der Lyrik. Kein Wunder also, dass ich sie mit einem Bündel Gedichte verließ. Im Falle von „weitergehen“ war es natürlich auch der Titel. Darauf kommt es ja es gerade an, jeden Morgen aufs Neue und mit Blick auf die Zukunft sowieso. Weder die Lyrikerin und Aktivistin May Ayim noch der Verlag Orlanda waren mir vorher ein Begriff. Was für eine schöne Entdeckung.

Maya Angelou, ebenfalls farbige Autorin und Aktivistin, ist mir hingegen vertraut. „Ich weiß, warum der gefangene Vogel singt“ hat mich vor einigen Jahren ganz schön geschüttelt. „Phänomenale Frauen“ (Suhrkamp) lautet der Titel, der mir etwas zu laut ist. Angesprochen hat mich der Band ganz leise und ich bin sicher, die Gedichte sind es auch. Die behutsame Sprache ihrer Autobiografie lässt keine anderen Schlüsse zu.

Vermisster Kiez

Und die „Moabiter Sonette“ (C.H.Beck)? Es fehlen einem ja nicht nur Menschen derzeit, sondern ganze Straßen, Gegenden, Stadtteile. Moabit gehört erst zu meinem Lebensraum, seit Kornelius Wilkens (der Maler und Zeichner der Ansichten in stillem Blau“) dort sein Atelier hat und ich einen Schlüssel dazu. Ich liebe es, mit Kornelius bei Nudeln und Wein an der Straße zu sitzen und das Treiben zu beobachten. Wie lesen ist das, nur noch lebendiger. Eine Kolumne mindestens entsteht während solcher Treffen, manchmal auch ein Gedicht. Auf die von Albrecht Haushofer bin ich sehr gespannt.

Fluchtort Buch

Anders als damals, Zuflucht suchend und ohne Plan, hatte ich an diesem Tag sehr wohl vor, Geld auszugeben. Dass ich mit sechs Bänden nach Hause fahren würde, wusste ich nicht. Aber ich bin sicher, keines davon ist eines zu viel. Dafür bin ich zu selig, wenn ich den neuen Stapel sehe und über die Einbände streiche. Kann sein, dass ich beim nächsten Beben gar nicht losgehen muss. Wahrscheinlich reicht lesen. Womöglich genau diese Werke. In Büchern steckt das ganze Wissen der Welt. Sie wissen viel mehr über uns und unsere Bedürfnisse als wir selbst. Man tut gut daran, auf sie zu hören.

4 Antworten zu “Lass das Suchen, sie finden Dich. Vom Bücherkaufen”

  1. Sibylle Helbich sagt:

    Ach, Du Wunderbare, ich vermisse Dich ❤️

  2. Hallo Barbara,

    ein ganz wunderbarer Beitrag. ♥

    Ich vermisse das Stöbern in Buchhandlungen, genauso wie ich Lesungen und Veranstaltungen vermisse, die nicht über Zoom gestreamt werden. Wobei ich für diese dennoch sehr dankbar bin!

    LG,
    Mikka

    • Barbara Weitzel sagt:

      Liebe Mikka, von Herzen Dankeschön. Ein bisschen müssen wir noch – lesend – durchhalten. Aber wir kriegen das hin. Die Bücher und Läden gehen uns nicht verloren. Ganz viele Grüße von Leserin und Leserin, Barbara

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