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barbara weitzel, eight years, dear martin
August 2018

Zwei Bücher gelesen: We’re eight years on power & Dear Martin

„Doch dann erschoss im vergangenen Februar George Zimmermann, ein achtundzwanzigjähriger Versicherungsangestellter in Sanford, Florida, den schwarzen Teenager Trayvon Martin. Zimmermann trug eine 9-Millimeter-Handfeuerwaffe bei sich und glaubte, einen potentiellen Einbrecher zu verfolgen. Der potentielle Einbrecher stellte sich als Junge in einem Kapuzenpulli heraus, der nur Süßigkeiten und Eistee dabei hatte.“

„PENG.

PENG.

PENG.“

Manchmal treffen Bücher einander, gehen ein Stück zusammen im Kopf und das sind Zeiten großen Verstehens und Lernens. Die erste Passage stammt „We’re eight years in power“ von Ta-Nehisi Coates (Deutsch von Britt Somann-Jung), das ich schon eine Weile lese, portionsweise, denn man hat viel zu denken nach jedem Kapitel. Die Schüsse sind die einzigen drei Worte des 14. Kapitels von „Dear Martin“ von Nic Stone (übersetzt von Karsten Singelmann), das ich für eine Rezension las. Hier der populäre Intellektuelle, der in sehr persönlichen Essays beschreibt, wie er die acht Jahre Obama-Präsidentschaft erlebt hat, der faktensatt und klug über Sklaverei, Bill Cosby und Hip Hop reflektiert, dort eine junge Autorin (deren Namen ich zuvor noch nie gehört habe, den ich aber jetzt zum Glück kenne und nicht mehr vergesse), die sich in die Haut von Justyce schlüpft und diesen Jungen erzählen lässt, wie es sich im Amerika des 3. Jahrtausends anfühlt, als schwarzer ein überwiegend weißes College zu besuchen. Was für ein Zusammentreffen!

Justyce ist fleißig, schlau, Star im Debattierclub (die Debatten im Buch zeigen, wie rasant und aufregend politische Bildung in der Schule sein kann. Man wünscht sich überhaut das buch als Schullektüre) und hat Harvard-Ambitionen. Alles könnte gut sein, wenn ihm nicht täglich in irgendeiner Weise klar gemacht würde, dass ihm das alles eigentlich nicht zusteht. Wenn nicht Schwarze nieder geschossen würden, nur weil sie die Hand zum Handschuhfach austrecken. Justyce schreib Briefe an Martin Luther King, sein großes Vorbild, stellt ihm fragen, will sein wie er. Nach den Schüssen im 14. Kapitel hört er damit auf. Da schließt einen Moment die Augen. Und will eigentlich nicht weiterlesen.

Martin Luther King spielt natürlich auch bei Ta-Naheshi Coates eine Rolle. Und die Schwarzen, die nicht mit Ghettoblastern, Goldketten und Messer in der Tasche an der Straßenecke stehen. Sondern gebildet, smart und zielstrebig ihren Weg gehen und die Menschen so verwirren, dass diese dann sagen, dass sie „eigentlich weiß“ seien. Wie Obama, dessen Präsidentschaft nach Meinung von Coates Trumps erst möglich gemacht hat, wenn nicht sogar zwangsläufig. Über diese Schwarzen schreibt er:

„Eine Richtung afroamerikanischen Denkens geht davon aus, dass gewaltbereites schwarzes Draufgängertum – der schwarze Gangster, der schwarze Aufrührer – der ultimative Schrecken des weißen Amerikas ist. Vielleicht stimmt das auf einer sehr individuellen Ebene. Auf kollektiver Ebene fürchtet dieses Land nichts so sehr wie schwarze Respektabilität – gute Negerregierung.“

Wie sich diese Furcht für die Jungen anfühlt, davon erzählt Nic Stone mit der Stimme von Justyce in „Dear Martin.“ Manchmal kann ein Jugendbuch den kleinen Rest Ratlosigkeit erhellen, mit dem einen auch das klügste Sachbuch oft zurücklässt. Wenn sie sich die Hand geben, die Bücher.

 

Nic Stone: Dear Martin. Übersetzt von Karsten Singelmann. Rororo Rotfuchs 2018, 256 Seiten, ISBN:  978-3-499-21833-0. Ab 14 Jahre.

Ta-Nehisi Coates: We were eight years in power. Übersetzt von Britt Somann-Jung. Hanser Berlin 2018, 416 Seiten, ISBN 978-3-446-25910-2

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