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Warme Croissants und kalte Morde – Louise Pennys Krimis
Und wieder sah er das entzückende Bistro vor sich und den freundlichen Mann mit dem Messer.
Three Pines findet man nicht, Three Pines findet einen. Auch mich hat das kleine Dorf in den Wäldern von Quebec gefunden und ich habe viele Tage dort verbracht. Gute, helle Tage, trotz der düsteren Ereignisse, die den Ort in verblüffender Anzahl regelmäßig heimsuchen. So viele Tote, und eine Tat perfider als die andere. Dass die Bewohner der schmucken Häuser rund um den Anger weiterhin so vertrauensvoll und heiter beisammensitzen, essen und trinken, kann man nur bewundern.
Beisammensitzen. Essen. Trinken. Damit wären die drei Hauptgründe genannt, warum einem nicht kalt wird bei der Lektüre und weshalb diese Bücher in dieser Zeit die Wirkung von Umarmungen haben. Beim Betreten des Bistros, geführt von dem Paar Olivier und Gabri, erwartet einen alles, was wir gerade so schmerzhaft vermissen. Eng beieinander sitzen die Gäste um die beiden Kamine und an den Tischen. Stimmen und Gläserklirren erfüllen den Raum. Das Küsschen auf die linke und rechte Wange versteht sich von selbst. Anstoßen – wann hat man das zuletzt getan? Jedenfalls nicht in einem Lokal, jedenfalls nicht mit Fremden. Man will Stunden verweilen auf den Bistro-Seiten und es sind viele.
Jeder Jeck ist anders
Zahlreich und immer ofenwarm und knusprig sind auch die Croissants und Baguettes, die verzehrt werden. Lustigerweise geht einem die Wiederholung dieser Attribute nicht auf die Nerven. Im Gegenteil, mit jedem Gebäckstück, mit jeder Mahlzeit, die verzehrt wird, wäre man lieber dort. Die Speisen sind detailfreudig beschrieben und ich bin wieder einmal sicher, dass in manche Bücher Duftstoffe eingedruckt sind. Eine höchst sinnliche Angelegenheit.
Auch der Chief Inspector der Mordkommission der Sûretè de Quebec und sein Gefolge werden bald Teil der Dorfgemeinschaft, einfach, weil sie sehr viel Zeit in Three Pines verbringen. Freundschaften und Vertrautheit entstehen und das macht die Ermittlungsarbeit nicht einfacher. Wer verdächtigt schon gerne jemanden, dessen Bilder er gerade noch bewundert hat. By the way: Clara Morrows Gemälde beschreibt Louise Penny so plastisch, dass man sie vor sich zu sehen meint.
Natürlich essen die Dorfbewohner nicht nur im Bistro. Die Einladungen zum Abendessen sind werden reichlich ausgesprochen und werden genauso zahlreich befolgt. Niemand wird ausgeschlossen, auch nicht die bissige Dichterin Ruth Zardo. Mit einem kollektiven Kuschelkurs hat das nichts zu tun. Sondern mit Großzügigkeit. Mit einem meiner liebsten rheinischen Lebensgesetze: Jeder Jeck ist anders.
Ein glücklicher Mann
Apropos. Armand Gamache hat meine Liste von Sätzen, die man gar nicht oft genug sagen kann oder zumindest unbedingt immer dann aussprechen sollte, wenn es ansteht, um vier verlängert. Natürlich habe ich sie vorher schon verwendet, aber jetzt lese, höre und sage ich sie anders, einer der wertvollsten Gewinne des Lesens. Sie lauten: Es tut mir leid. Ich hatte Unrecht. Ich brauche Hilfe. Ich weiß nicht. Gamache gibt sie allen seinen Schützlingen mit auf den Weg. Wenn ich Zeitung lese oder Radio höre, wünsche ich mir oft, alle wären durch seine Schule gegangen. Die Welt wäre heller.
Armand Gamache. Was ihn unterscheidet von seinen Kollegen, ob im Krimi, im „Tatort“ oder im Kino? Er ist glücklich. Das sagt er selbst von sich. Er hat keine unseligen Affären, sondern führt eine erfüllte Ehe. Gamache trinkt nicht im Übermaß, sondern Wein und Kognak mit Genuss. Er ist nicht zynisch, nicht bitter, nicht misstrauisch. Außer natürlich im Dienst, letzteres gehört es zu seinem Berufsbild. Wenn er beim Denken alle Geländer loslässt erinnert er ein bisschen an Kommissar Adamsberg aus den Krimis von Fred Vargas. Und darin, wie er trotz Eigensinn seine Truppe zusammenhält. Beide treffen oft gewagte Entscheidungen und setzen für ihren Instinkt alles aufs Spiel. Gamache bezahlt teuer dafür. Und macht weiter. Ein Grund mehr, in dieser Zeit, da das Hoffen und die Zuversicht einem so viel abverlangen, Tage und Stunden in Three Pines zu verbringen.
Elefantenmäntel
Und die Morde? Die Ermittlungen? Sind vertrackt, manche total verrückt. Das Schicksal, dieser Fuchs, packt seine ganze Ironie aus. Und sie führen oft tief in die Geschichte Quebecs, einen Sack voll Bildung bekommt man also en passant. Und darf mal wieder in Bibliotheken sitzen, im Foyer eines ehrwürdigen Hotels. Kirchen besuchen. Während Myrna in ihrem Antiquariat für jeden das passende Buch hat.
Zuviel Harmonie? Kann man etwas gegen zu viel Frieden, Toleranz und Buttercroissants einwenden? Eben. Die Gewalt, der Hass und der Neid, der Tod und die Einsamkeit, die er stets mit sich bringt, lauern hinter jeder Gartenmauer. Nicht nur in Three Pines und nicht nur in diesen Zeiten. Bücher wie die von Louise Penny lassen sie uns aushalten. Sie sind Elefantenmäntel.
Louise Penny: Das Dorf in den roten Wäldern und weitere Bände. Aus dem kanadischen Englisch von Andrea Stumpf, Gabriele Werbeck u.a., Kampa-Verlag.
Sie haben genau das zur Gamache-Three Pines-Serie geschrieben, was ich beim Lesen empfunden habe….. und ich habe alle (englisch) erschienenen Exemplare mehr oder weniger „eingeatmet“. Danke dafür. Karin Schröer
Oh, wie schön. Eine Gleichgesinnte. Ich warte auf den nächsten Band auf Deutsch, schon ganz zappelig. Im August ist es soweit. Ganz herzliche Grüße, Barbara