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Laufend vorlesen und zuhören: Selig mit „Des Esels Ohr“
Schon als die vier die Straßenbahn betreten, ist klar, dass es jetzt laut wird. Sie betreten sie nicht. Sie fallen ein.
Es ist ein bisschen gemein, die Schuld immer den Kindern in die Schuhe zu schieben. Aber es waren nun mal ein paar Teenager, mit denen alles begann. Eine Horde Jungs, die letzten Sommer die Tram enterten und mich sehr zum Lachen brachten. Und wenn mich jemand oder etwas sehr zum Lachen bringt – oder zum Weinen, zum Staunen, zum Nachdenken – muss ich es eben aufschreiben. Das war schon immer so und seit ich die Montagskolumne in der Berliner Zeitung schreibe, landen die Texte oft dort. Wie der über die lustigen Jungs.
Dass der einen zweiten Auftritt bekommen würde, und zwar auf einer Bühne, hätte ich mir nicht träumen lassen. Weil ich ja keine Bühnen betrete. Aus Schüchternheit, wegen Angst vor Stottern und Rotwerden und Händezittern. Wegen all der Augen, die auf einen gerichtet sind und der Ohren, die jedes Beben in der Stimme hören und ungnädig vielleicht den Text blöd finden oder mich oder gleich beides. Das waren so die Ängste. Und völlig falschen Vorstellungen. Denn.
Es muss natürlich heißen: Weil ich keine Bühnen betreten habe. Bis letzten Sommer. Daran schuld sind, wie gesagt, diese Jugendlichen, und drei wunderbare Frauen. Eine dieser Frauen, Franziska Hauser schrieb mir nach Erscheinen der Kolumne, und fragte, ob ich nicht auf der Lesebühne „Des Esels Ohr“, kurz und liebevoll „DEO“ genannt, gegründet und geführt von „Hauser, Fuchs und Wahn“, als Gast vorlesen möchte. Der Text über die Teenager sei ein richtiger Bühnen-Text. Die anderen beiden Eselsohren, Susanne Schirdewahn und Kisten Fuchs, fänden das auch schön.
Das Stimmchen spricht
Ich hatte von DEO schon gelesen und dringend vorgehabt, mich mal ins Publikum zu mischen, weil ich die Texte und Bücher der drei Damen sehr mag. Aber vorlesen? Selber? Zögern, zaudern, zittern. Doch irgendein Stimmchen in mir sagte „ja“ und irgendwie schaffte es das Stimmchen, das auch Franziska zu schreiben, bevor die kritischen Gegenstimmen – Ängste, Zweifel, Schüchternheit, die üblichen Verdächtigen – auch nur Luft holen konnten.
Wie man sich denken kann, nach dieser Einleitung, war es ein unfassbar schöner Abend, der 23. Juli 2018. Die Taghitze hatte sich in der Saarbrücker Straße 24 ganz oben unterm Dach mächtig breit gemacht und lag und stand überall herum, so dass nicht nur ich vor Aufregung, sondern alle schwitzten. Trotzdem waren alle Stühle besetzt, ganz viele Menschen waren gekommen, die mir etwas bedeuten und weil nicht nur Franziska, sondern auch die mir bis zu dem Abend unbekannte Susanne (Kirsten war leider nicht da, die hab ich aber bald kennengelernt und fand sie so super wie ihre Texte) mich so zugewandt, unbekümmert und warmherzig in ihre Mitte nahmen, flog viel Lampenfieber noch vor Beginn leise in die Sommernacht.
Und das Händezittern beim ersten Auftritt – so sehr, dass ich den mitwackelnden Text manchmal kaum lesen konnte – war beim zweiten fast weg und nach dem dritten Text war ich kurz betrübt, dass es schon vorbei war. Kurz, weil es natürlich Schlimmeres gibt, als auf dem Dach über der Werk-Etage zu sitzen, dem Fernsehturm und dem Mond beim Miteinanderflirten zuzusehen, die ausnahmslos feinen Texte der anderen nachwehen zu lassen und dazu Gitarrenmusik zu hören. Ein Ausklang wie in einer schlimmen Berlin-Werbung. Nur eben alles echt.
40 Grad plus, 40 Grad minus
Beim zweiten Mal, im Januar, war nur noch Vorfreude. Na gut, ein bisschen Aufregung schon, aber die Sorte, die schön ist. Kribbelt. Dazu gehört. Denn jetzt wusste ich ja, dass ich Vorlesen sehr mag, nicht nur den Kindern, sondern einem Publikum. Das wieder zahlreich erschien, obwohl – womöglich wegen der Balance, möglich ist bei DEO ist alles – draußen statt der gefühlten 40 Grad vom August gefühlte minus 40 Grad die Stadt in die Zange genommen hatten. Ein Publikum, das so aufgeschlossen, freundlich und begeistert ist. Dass ich Zuhören mag, wusste ich schon länger.
Zum Beispiel den DEO-Ladies. Den immer illustren Gastautorinnen und –autoren. Den Musikern und Musikerinnen, die glaube ich ausnahmslos Hingabe als zweiten Namen haben. Den Gästen, wenn sie lachen oder seufzen und auch ihrem aufmerksamen Schweigen. Deswegen war ich etliche Male einfach nur deswegen in der Saarbrücker Straße. Zum Zuhören. Letztes Mal, am 23. April, waren wir sogar kurz auf dem Dach. Vor dem Programm, in der Pause und danach war es zu kühl.
Sehr warm wurde mir am Tag danach. Vor Freude. Brust, Herz, Wangen, Ohren, das komplette Programm. Schuld waren diesmal keine Jugendlichen, aber wieder Franziska, Susanne und Kirsten. Kirsten, weil sie aussteigt und schrecklich fehlen wird und hoffentlich trotzdem ganz oft lesen wird. Franziska und Susanne, weil sie eine Nachfolgerin gesucht und gefunden haben. Ob wir „Hauser, Wahn und Weitzel“ sein wollen, haben sie gefragt. Das innere Stimmchen war alles andere als leise. Doch dieses Mal hätte ich sein jubelndes „Jaaaaaaa“ nicht gebraucht. Das konnte ich ganz allein sagen. Und freue mich jetzt jeden Monat auf den 23. Laufend lesen und schreiben ist schon super. Aber dann auch noch laufend zuhören und vorlesen … was bin ich für ein Glückskeks.
Am 23. Mai, also schon in 10 Tagen, lautet das Motto: Modische Neuigkeiten in dreifacher Mehrdeutigkeit. Kommt alle! Ab 20 Uhr, Werk-Etage in der Saarbrücker Str. 24, Haus C, ganz oben.
bin gegeistert