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April 2019

Bücher-Date: Synchronicity und Die Welt der Farben

„Ich brachte den (grauen) Lappen in meine (graue) Küche zurück, nahm dann meinen (grauen) Tee und nippte daran, während ich in mein (graues) Zimmer zurücklief.“ (Sharon Dodua Otoo, Synchronicity)

 „Zu anderen Zeiten gehörte in die Garderobe der gutgekleideten Dame unbedingt ein pelzbesetzter Mantel in Haarbraun und ein Häubchen, verziert mit klatschmohnroten Federn und zitronengelber Sarsenettseide. Hin und wieder waren neben den Beschreibungen Farbtafeln abgedruckt, die mir halfen zu entschlüsseln, wie Haarbraun wohl aussehen könnte, meistens aber leider nicht. Es war als lauschte ich dem Gespräch in einer Sprache, die ich nur zu Hälfte verstand. Ich war sofort süchtig.“  (Kassia St Clair im Vorwort zur „Welt der Farben“)

Manche Bücher, so ein wiederkehrender Verdacht, verabreden sich. Sie beschließen nicht nur zeitgleich ins Leben eines Lesenden zu treten, sondern auch zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt. Zu dem er oder sie gar nicht anders kann, als elektrisiert nach ihnen zu greifen und ihnen anschließend sehr viel Platz einzuräumen. Auch wenn sie ganz unauffällig daher kommen. So ging es mir mit „Synchronicity“ von Sharon Dodua Otoo. 96 Seiten in Broschur, das Cover sieht aus, als habe jemand ein Glas Wasser über eine Bleistiftzeichnung gekippt. Menschen sind zwar zu erkennen, auch ein Regenschirm und ein (der Berliner, wie sich herausstellt, jedenfalls spielt die Handlung in Berlin) Fernsehturm, aber alles grau in grau und verschwommen. In der rechten oberen Ecke fliegt ein krachbunter Schmetterling. Als wolle er sich gerade verabschieden vom Titelbild. Damit er nicht auch noch vom Grau erfasst werde.

Ein Wunderbuch über Farbenlehre

Wie anders „Die Welt der Farben“, zu dem ich wenige Tage vorher mit einem pawlowschen „Meins!“ griff. Auf den dicken Deckel von Kassia St Clairs Werk scheinen sich alle Farben geflüchtet zu haben, die aus „Synchronicity“ getilgt wurden. Bunte Punkte zieren das Cover, eingestanzt, auch haptisch aufregend also. Der Schnitt: Eine Art Regenbogen, der allerdings mit verschiedenen Weißen beginnt und in den  Schattierungen des Schwarz endet.

Sharon Dodua Otoo kannte ich seit dem Ausbruch „die dinge die ich denke während ich höflich lächle“ (edition assemblage 2013). Kassia St Clair war mir kein Begriff. Und auch nicht, dass eine Farbenlehre sich lesen kann wie ein Zauberbuch voller Märchen, Mythen, Abenteuer, Pikanterien und Anekdoten. Ich weiß jetzt, warum es einer Zeitung wichtig war, dass Oskar Wilde bei seiner Festnahme 1895 ein gelbes Buch unter dem Arm hatte, und dass viel Elfenbein von Tieren stammt, die seit über 10.000 Jahren ausgestorben sind, nämlich Mammuts. Das Schmelzen der Gletscher macht’s möglich.

Ich weiß jetzt, dass Blau lange Zeit einen schweren Stand hatte und als die Farbe der Barbaren galt und kenne die Geschichte hinter den Pigmenten Ultramarin, Kobalt, Indigo, Preußischblau, Ägyptischblau, Waid, Elektrisches Blau und Himmelsblau. Ich kenne neue köstliche Wörter wie „Gummigutta“ (ein Gelbton), Koschenille (ein Rot-Pigment, das aus der Koschenillenschildlaus gewonnen wird) und  „Scheeles Grün“, das nicht etwa dümmlich oder schief guckt, sondern seinen Namen von Carl Wilhelm Scheele hat, der auf die chemische Verbindung Kupferarsenit stieß: „Einen Grünton, den er trotz seines leicht schmuddeligen Erbsengrüns als gut verkäuflich einstufte.“ Schmuddeliges Erbsengrün! Man kann es sich sofort vorstellen und so ergeht es einem immer wieder mit St Clairs Beschreibungen. Die farbigen Seiten bräuchte man gar nicht – aber: wie gern blättert man um von Fuchsia zu Knallrosa, von Safran zu Bernstein, auch optisch…

Die Farbe von Haut

Besonders beeindruckt hat mich das Kapitel über den Farbton „Nude“, der voraussetzt, dass nackt immer den gleich Ton hat. Ähnlich wie die „hautfarbenen“ Buntstifte der Kinder. Dass der Mammut-Anteil der Menschen eben keine schmutzigweiß-rosé-farbene Haut hat, ja, selbst unter sogenannten „Weißen“ tausende Hautfarben existieren, „nude“ also eine Riesenpalette meinen müsste, aber nur den einen – sehr an „beige“ erinnernden Farbton bezeichnet, fand ich so amüsant wie bedenklich. Weil ich noch nie darüber nachgedacht habe. „Beige“ ist übrigens ein eigenes Kapitel gewidmet. In dem die Autorin nicht unerwähnt lässt, wie nichtssagend die Farbe ist:

„Die Hoffnung ist nicht, dass es jedem gefällt, sondern dass es niemanden stört. Beige könnte die Konzeptfarbe der Spießer sein: Konventionell, scheinheilig und materialistisch. Wir treffend, dass Beige einst die Farbe der Schafe war und heute den Schafen unter den Menschen gefällt. Gibt es irgendeine Farbe, die unseren Herdeninstinkt für geschmackvollen, platten Konsum so sehr hervorkitzelt? Kein Wunder, dass Dulux den echten Farbnamen meidet wie die Pest. Beige ist langweilig.“

Deswegen scheut nicht nur Dulux den Begriff, sondern auch Hersteller von Seidenstrumpfhosen und Schuh-Designer. Um wie vieles sinnlicher klingt „nude“! Es schließt halt nur 90 Prozent der künftigen Trägerinnen aus. Was Farben alles erzählen, wenn jemand viel über sie weiß und zu erzählen weiß. Wie Kassia St Clair. Wie Sharon Dodua Otoo.

 Tanz der Themen: Synchronicity

Denn natürlich erzählt auch die Britin in dieser bizarren kleinen Geschichte nicht nur von einer jungen Frau namens Cee, die plötzlich jeden Tag eine Farbe verliert. Sie beginnt mit „Tag 1: Die erste Farbe, die ich verlor, war mein Gelb“, Tag 4 trägt die Überschrift „Als mein Grün verschwand, war ich nicht überrascht“ und hat eine Art Zwischenende mit dem Titel „Tag 10: Bis zu dem Donnerstag hatte ich Gold noch nie so häufig gesehen“. Obwohl sehr leichtfüßig, geradezu plaudernd präsentiert (dazu später mehr), zieht einen dieser langsame Verlust mit, in eine Art innere Tristesse. Die Folgen für Cee sind anfänglich fast komisch, zieht sie sich doch an einem sehr warmen Tag viel zu dick an. Es ist der Tag, an dem das Hellblau verschwindet:

„Als ich an diesem besagten Morgen nachschaute, sah der Himmel trübselig aus. Grau wie ein ersoffener Pudel (…) Ich zog zusätzlich eine Skijacke an, nur um auf Nummer sicher zu gehen (…) Doch kaum hatte ich meine Wohnung verlassen, fing ich schon an zu schwitzen. Und ich meine damit nicht etwa, dass feine, feminine Schweißperlen meine Stirn schmückten…“

Doch Fragen wie „Hast Du jemals eine Orange gegessen, die nicht orange war?“ lassen die große Traurigkeit durchscheinen, von der die Erzählerin erfasst wird. Traurigkeit, und Angst. Am meisten fürchtet sie sich vor dem Verlust des Brauns. Aus Angst, ihre Hände nur noch grau zu sehen, zieht sie sich zeitig weiße Handschuhe an. Die wenigen, aber umso anrührenderen Illustrationen von Sita Ngoumou erzählen auf einer weiteren ebene – vielleicht die, wo die Worte aufhören – von dem zerbrechlichen, verwundbaren Zustand, in den Cee bei aller vorgeschützten Gelassenheit, gerät.

Hussein und Herr Welker

Und setzt damit früh ein Zeichen, worum es auch geht in „Synchronicity“. Diese kleine, nicht mal 100 Seiten starke Erzählung, die richtig wild wird, wenn die Farben zurückkommen, aber ganz anders (ich möchte nicht zu viel vorwegnehmen. Lesen!),  entpuppt sich als regelrechter Tanz der Themen. Sharon Dodua Otoo, die als Kind ghanaischer Eltern in London zur Welt kam, klappt wie nebenbei einen Diskurs nach dem anderen auf, all die Themen, welche die schwarze Britin, Publizistin und Herausgeberin der Reihe „Witnessed“ (ebenfalls in der edition assemblage) umtreiben.

Anhand etlicher Nebenstränge und Figurenreflektiert sie (und mit ihr unweigerlich die Leserin/ der Leser) über Widerstand und Emanzipation, Zugehörigkeit und Selbstbestimmung, die große Sehnsucht nach Nähe und das Gebot der Unabhängigkeit, berufliches Ethos und Karrierestreben, und natürlich über die Rolle der Hautfarbe. Ein Polizist namens Hussein betritt die Geschichte und verwirrt das Herz von Cee, die Trauer um das frühzeitig (und gegen seinen Willen) in die Freiheit verwiesene Kind Sam schimmert immer wieder durch, ein „Jahrhundert-Auftrag“ – Cee ist freie Grafikdesignerin, was den Farbverlust zu einer existenziellen Gefahr macht – entpuppt sich als moralische Falle und pflanzt kurz, aber nachhaltig eine weitere ganz große Frage in die Geschichte: Wem gehört die Stadt? Herrn Welker, dem Bauunternehmer, für den Cee arbeitet und der sie „Boney“ nennt – oder den Bewohnern des Hauses, das für ein Edelpuff abgerissen werden soll…?

Ein Gespräch am Tisch

Klingt viel, klingt groß, klingt nach schwerer Kost? Ist es nicht. Ich weiß nicht, wie sie es macht, aber man hat keinen Moment das Gefühl der Überfrachtung. Nicht einmal habe ich gedacht: Och nö, nicht das jetzt auch noch. Vielleicht liegt es daran, dass Sharon Dodua Otoo so ungekünstelt und dabei eindringlich erzählt, dass man gar nicht das Gefühl hat zu lesen. Sondern eher zuzuhören. Es ist, als säße sie einem am Tisch gegenüber. Eines dieser seltenen, juwelenhaften Gespräche, in denen man einander ganz schnell und ohne es sich bewusst zu machen, sehr persönliche Dinge erzählt, obwohl man sich womöglich gerade erst kennengelernt hat.

Und dann merkt man es und nichts daran ist falsch. Weil alles persönliche, zumal, wenn es nicht als Litanei daherkommt, sondern so selbstversöhnlich und mit sich im Reinen wie hier, so viel Grundsätzliches in sich birgt. Nicht nur Denkanregungen für die großen Diskurse, sondern auch Phänomene, Stimmungen, Beobachtungen, die – man irgendwie kennt aber plötzlich zum ersten Mal formuliert findet.

„Sie können einen Moment wie einen Schmetterling einfangen; eine gekonnte Kombination aus schnell und sanft. Sie halten diesen Moment möglicherweise für zwei oder drei Minuten fest – oder vielleicht nur für ein paar Sekunden. Aber jede einzelne Zeiteinheit ist so kostbar, so zerbrechlich und so kraftvoll wie ein Herzschlag. Das Flattern der Flügel gegen ihre Finger erinnert sie daran, dass sie bald loslassen müssen. Aber wie lang „bald“ ist, hängt von einem Zusammenspiel so vieler Dinge ab… Manche Menschen wissen solche Dinge gut einzuschätzen und können den Moment genau im richtigen Augenblick loslassen (…) Und dann gibt es solche, für die die Beschreibung „hoffnungslos unfähig“ ein großes Kompliment wäre. Ich gehöre definitiv zu der zweiten Gruppe.“

Nachwehen und Glück

Bezöge man den letzten Satz auf die Autorin, wäre er mehr als kokett. „Synchronicity“ ist gerade zu ein Lehrbuch zum Einfangen hauchzarter Momente – und eine Schule des Loslassens, auch verbal, im richtigen Moment. Da, wo Weiterformulieren, Konkretheit, mehr Details das Gewebe der Geschichte zerstören würden. Sharon Doduan Otoo hat, glaube ich, ein großes Vertrauen nicht nur in die Sprache – in ihre und Sprache an sich – sondern auch in Lesende, Zuhörende. Sie werden die Farben zu deuten wissen, scheint sie zu denken.

Vor allem weiß man sie neu zu lieben und zu ehren. Der Alptraum vom Verlust dauert in „Synchronicity“ zwar nicht lange an, aber die Nachwehen sind heftig. Ihre Rückkehr lässt die Erzählerin aufgrund ihrer neuen Erscheinungsform zunächst unter Schmerzen stöhnen, als Leserin ist man tief beglückt. Und greift erneut zur „Welt der Farben“. Frisch ergriffen, staunend wie’n Kind und ohne Angst vor großen Fragen.

Kassia St Clair: Die Welt der Farben. Aus dem Englischen von Marion Hertle. Tempo / Hoffmann und Campe 2018, 352 Seiten, ISBN 978-3-455-00133-4

Sharon Dodua Otoo: Synchronicity. Aus dem Englischen von Mirjam Nuenning. edition assemblage 2014, 96 Seiten, ISBN 978-3-942885-74-4

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