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Von den Arten der Liebe lesen: Frauenherz
„Kennen Sie Lamas? Dieses Vieh da hinter uns, das ist wohl die einzige Kreatur, die in dem ganzen Auflauf hier ruhig bleibt. Wird schon einen Grund haben. Es soll ihn angespuckt haben, den Kleinen. Bevor er vom Zaun gekippt ist. Haben Sie’s gesehen?“
Einer von vielen Gründen, diesen Blog zu beginnen, waren für mich die vielen unsichtbaren und kaum sichtbaren Bücher. Die nicht in Stapeln ausliegen, keine oder nur eine rudimentäre Rolle in den Feuilletons spielen, Bücher, die von den Autoren in engagiertem, aber auch aufreibendem Selbstmarketing ins Licht gebracht werden müssen. Bücher von Debütantinnen und Selfpublishern, Bücher aus kleinen Verlagen ohne Riesenverteilungsapparat, aber Bücher die – gelesen werden sollten. Von vielen. Neben den „großen“ Büchern, den bekannten Namen, denen, die ohnehin im Gespräch sind (und an denen auch ich – oft glücklich – nicht vorbeikomme), möchte ich hier immer wieder auch über diese schreiben. Und sie so ins – noch kleine – Licht rücken. Sie sind oft so ganz anders als andere Bücher.
Micheala Debastianis Debüt „Frauenherz“, erschienen in der Edition Outbird, ist in vielerlei Hinsicht ein Erlebnis. Mit Nachwirkungen. Das fängt schon damit an, dass es sich jeder Kategorie entzieht. Geschichten? Ja, auch. Lyrik? Ist drin. Ein Theaterstück, auch. Dazu: Selbstbefragung. Erkundung. Essayistische Flüge ohne Ziel. Aber man kommt immer an. Man muss sich nur drauf einlassen, dass der Ort, wo man mit der Autorin und doch auch immer bei sich selbst landet, eine Überraschung sein könnte.
Das liegt auch am Thema, das die Österreicherin mal temporeich und schnodderig wie in „Liebe über den Tod hinaus. Hallowin’-Heulen“ (der Text, aus dem das Eingangszitat stammt), mal vorsichtig tastend wie in „Kinder die Bücher schreiben“, mal sachlich-analytisch umkreist. Die Vielzahl der Stile und der Soundwechsel sind ihm geschuldet, dem Thema. Denn welches hat mehr Gesichter, ist weniger greifbar und eben deshalb so unerschöpflich wie die Liebe? Eben. Erfüllte und unerfüllte, verschreckte und geschlagene, zurückgewiesene und unvermutete, vergiftete und beflügelnde Liebe: all diese Arten findet man in dem kleinen Band. Mutterliebe, Kinderliebe, Begehren, Freundschaft, Liebe zum Tier, geistige Verwandtschaft und Treue zum Kaffee.
Ja, zum Kaffee. Debastiani überrascht einen immer wieder. Gerade denkt man, Klang und Richtung von „Frauenherz“ begriffen zu haben, da kommt sie in neuem Ton und Thema daher. Manchmal mitten im Text. Was als launige Plauderei über ein kleines Schwarzes beginnt endet in großer Traurigkeit über eine schwierige Liebe, aber auch mit einem zuversichtlichen Blick in die Zukunft und über den Tod hinaus. Denn nochmal ja, natürlich geht es auch ums Vergeben. Um neue Anfänge. In dem rasanten Text, der einen wegen der Lamas immer wieder auch zum Lachen bringt, trotz des Unheils, das wie ein Gewitter über dem Zoo hängt, stirbt ein Kind am Ende nicht. Dennoch ist der Tod ein Hauptakteur. Im Mantel der Zoogeschichte erzählt Debastiani von einem ganz anderen Verlust. Und obwohl die Autorin einen stets teilhaben lässt am Entstehen ihrer Erkenntnisse, an der Genese der Gefühle, ist man immer wieder überrascht, in welchen Abgrund und was für ein Himmelhoch man ihr jetzt wieder gefolgt ist. „Über das allmähliche Verfertigen des Gedankens beim Schreiben“ könnte, Kleist abwandelnd, als Untertitel auf dem Cover stehen. Man ist die ganze Zeit Teil des Geschehens und staunt trotzdem ständig über seine Volten.
„Ich habe mich oft gefragt, was wir Menschen wirklich mit Sicherheit wissen können.“
Was mir schon beim Lesen schwante, ich konnte es aber nicht so richtig festzurren, ging mir erst in den Nachwehen, beim späteren Wiederdurchblättern auf: Einige Texte geben ganz unverblümt Einblick in das „allmähliche Verfertigen“. Wobei auch und gerade hier der Ausdruck „allmählich“ irreführend gemütlich daherkommt. In „Liebe zu Farben – Farbentanz“ geben sich Pigmente unter Borsten einer Art Klammerblues hin, werden Buchstaben auf der Leinwand mit Farbteilchen beworfen, kann das anfangs distanzierte Alphabet dem wilden Treiben der Nuancen schnell nicht mehr widerstehen und beweist seine Beweglichkeit im Salsa. Eher anarchisch als allmählich geht es hier zu, doch hinter dem Treiben erklärt Debastiani das Entstehen der Texte. Vordergründig geht es um die Zusammenarbeit mit dem Maler Dim Sampaio, dessen Bilder den Einband und mehrere Seiten nicht nur zieren, sondern eine weitere Ebene des Erzählens bilden. Doch man erfährt viel mehr, wie auch in dem nächtlichen Mailwechsel mit dem Verleger, der unter dem Titel „Begegnung“ wie ein Nachwort den Schluss des Buches bildet. Beide Texte erlauben einen tiefen Einblick in Antrieb und Arbeitsweise der Autorin. Doch diese Intimität hat, wie das ganze Buch, nichts Aufdringliches, Anbiederndes. Zerbrechlich ist sie, zurückhaltend, ein wenig verrätselt. Wie echte Intimität, außerhalb von Buchdeckeln. Man muss selbst daran mitwirken, dass sie entsteht.
„Dann würde aufgeräumt und gelüftet und alle waren ganz still, weil da immer noch Worte und Farben im Raum schwebten, die die anderen hören und sehen wollten. Doch diese machten sich bereist auf zum nächsten Tanz.“
So endet der Text über der Begegnung der Schriftstellerin mit dem Maler. Der nächste Tanz darf mit Spannung erwartet werden.
Michaela Debastiani: Frauenherz. Edition Outbird 2019, 114 Seiten. ISBN: 978-3-95915-118-4
Dieses Buch habe ich mir aufgrund der Besprechung hier gekauft. Ich lese nicht kontinuierlich darin, mehr sporadisch, das tut dem Inhalt und mir grad mal gut.
Gruß von Sonja
Liebe Sonja, das ging mir genauso. Es ist ein Buch zum Immer-wieder-reinlesen. Weil vieles Fragen aufwirft. Nachwirkt. Weil die Texte so unterschiedlich sind. Ich freue mich, dass mein Text zum Kauf animiert hat. Liebe Grüße, Barbara