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März 2022

Geburt und Freude in dunkler Zeit: „Immer schön langsam“ ist da

Noch ein Buch über Berlin, als ob es nicht schon genug gäbe. Doch dieses ist ein besonderes. Seine Kennzeichen: Genauigkeit und Zärtlichkeit. Ja, Barbara Weitzel behandelt die Stadt, als ob es um einen Körper ginge: einen Körper mit Altersflecken und Wunden, aber auch mit einem Überschuss an Hormonen, einen ewig pulsierenden Körper, der es nur dank dreier Herzen geschafft hat, die Infarkte der Geschichte zu überleben.  Ilma Rakusa

Die Infarkte der Geschichte. Bis vor wenigen Tagen dachten wir, von Infarkten dieses Ausmaßes reden wir für immer nur in der Vergangenheitsform. Zumindest in Europa. Und jetzt? Hört man Radio und kann nicht glauben, dass die Nachrichten wirklich aus dem 3. Jahrtausend stammen. Will es nicht glauben. Dass die Angst vor dem Virus und den Folgen der Pandemie einer vor dem Krieg gewichen ist. Die Kinder kommen aus der Schule und sprechen über kaum etwas anderes. Und auch auf der Straße nimmt ein neues Thema allen Raum ein. Das Herz galoppiert bei Worten wie „Atomstreitkräfte“ und „Bunker. Angstmacht die Kehle eng. Darf man, ja, muss man vielleicht sogar, oder ist völlig unangebracht, sich in diesen Tagen zu freuen? Ich glaube, man darf, ja, muss, so man es vermag.

Genau im Blick, im Reden

Weil Freude einem die nötige Kraft verleiht für das was jetzt notwendig ist: Hoffnung. Zuversicht. Kraft für die Gespräche mit den Kindern. Kraft, das zu bleiben, was Ilma Rakusa ihrem Vorwort zu meinem Buch „Immer schon langsam“ schreibt: Genau. Genau im Blick, im Reden. Und zärtlich. Das mag seltsam klingen, doch ein zärtlicher Blick ist schließlich die Voraussetzung für Mitgefühl. Für Freundlichkeit. Für Zusammenhalt. All das braucht es jetzt.

Deshalb habe ich die Freude willkommen geheißen, als vor einigen Tagen das große Paket mit meinen Büchern aus dem Quintus Verlag eintraf. Mit zitternden Händen hatte ich es geöffnet und endlich mein Buch in den Händen gehalten. Wunderschön sieht es aus, hell und freundlich und dank der Klappenbroschur ein bisschen elegant. Das Titelbild von Kornelius Wilkens entfaltet seine Wirkung auf Karton viel eindringlicher als auf dem Bildschirm und beim Blätter dachte ich: Habe das wirklich alles ich geschrieben? So viel Text?

Unter dem Turm

Heute habe ich es zum ersten Mal in einer Geschäft gesehen, ein Stapel von fünf Exemplaren in der Buchhandlung im S-Bahnhof Alexanderplatz. Was für eine Fügung, Weltzeituhr und Turm auf dem Cover und im Schatten des letzteren treffe ich es. Meine innere Weltzeit blieb für eine Millisekunde einfach stehen bevor ich mir einen Schubs gab und die Verkäuferin fragte, ob ich ein Foto machen dürfe. Weil ich die Autorin sei. Kurz darauf kam eine weitere Frau vom Laden dazu und bat mich, die Exemplare zu signieren. Wie gern ich das gemacht habe. Und obwohl ich den Vorgang von den anderen beiden Büchern kenne, zitterten die Hände wieder ein bisschen. Noch nie habe ich in einer Buchhandlung meine Signatur auf die erste Seite gesetzt.

Weitere Anlässe zur Aufregung werden folgen. Am Freitag findet die „kleine“ Premiere im Fassgold in Weißensee statt. Dieses Geschäft ist ein besonderer Ort für mich, weil ich dort mindestens einmal die Woche sitze, mit der Inhaberin plaudere, die eine Freundin geworden ist. Weil einem dort warm wird, wenn man friert. Und weil man dort nicht reden muss, wenn man lieber schweigen möchte. Etliche Kolumnen sind dort zumindest im Kopf entstanden. Deswegen kann nur dort die erste Lesung stattfinden.

In der Stadtmission

Am 17. März folgt die große Premiere im Pfefferberg Theater in der Reihe „Literatur Live“. Moderieren wird die Veranstaltung meine tolle Kollegin Susanne Lenz von der Berliner Zeitung. Das lindert das Lampenfieber etwas, denn vor so vielen Stühlen, hoffentlich viele davon besetzt, habe ich noch nie etwas vorgetragen.

Und am 31. März wird mir die Ehre zuteil, im neuen Zentrum der Berliner Stadtmission zu lesen. Ein Kapitel von „Immer schön langsam“ beinhaltet viele Texte über Obdachlosigkeit, über das Leben auf der Straße und unseren, meinen Blick darauf. Es erschien mir logisch, an diesen Kolumnen auch die Gäste der Bahnhofsmission teilhaben zu lassen. Natürlich lese ich auch andere und hoffe, das Publikum ist ebenso bunt gemischt. Es soll ja auch darum gehen miteinander ins Gespräch zu kommen. Eintritt kostet die Veranstaltung nicht, doch Spenden sind willkommen. Sie gehen zu 100 Prozent an die Stadtmission.

Hand in Hand

Ja, auf all das und vieles mehr freue ich mich und ich weiß, dass viele diese Freude teilen. So wie ich mich mit etlichen Autorinnen und Autoren freue, deren Bücher in diesen Tagen erscheinen oder erschienen sind. Die Lektüre von Literatur, Dichtung, ist ein Geländer im Sturm der Nachrichten und ich frage mich manchmal, wie Menschen den aushalten, die nicht lesen. Doch sie werden andere Mittel haben um die Hoffnung nicht zu verlieren.

Ein augenöffnendes Buch. Das im Benjamin’schen Sinne Empathie und Emphase verbindet. Und die Elenden, Einsamen und Erniedrigten ebenso in den Blick nimmt wie den Himmel über Berlin und die „Minutenglücke“ seiner Bewohner.

Schreibt Ilma Rakusa, deren Worte mich immer noch sprachlos machen. Und ja. Da ist es, da sind sie: Das Elend und das Glück Hand in Hand. Ich dachte, ich hätte mich daran gewöhnt, dass sie das können. Dass ich das aushalten kann. Vor allem in den vergangenen zwei Jahren. Aber womöglich gibt es doch Phänomene, über die man sich nur wundern kann.

Barbara Weitzel: Immer schön langsam. Unterwegs in der Stadt. Quintus Verlag / Verlag für Berlin und Brandenburg 2022. Xxx  Seiten, 18 Euro. ISBN 978-3-96982—043-8

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