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März 2019

Vom Behüten: Ab hier nur Schriften & Wachsen lassen

Gefühle sind und bleiben Kinder. (Timo Brandt: Entsagung der  bereiten Würmer)

Ich wird mit meinem Gummiboot den Horizont erheitern. (Bettina Strang: Verschoben)

„Solange es Menschen gibt, die wegen der Konkretheit von Regenschirmen einen Kloß im Hals haben, werde ich die Hoffnung, die ich so gerne lakonisch beiseite wische, nicht aufgeben.“ Vor einiger Zeit habe ich eine Kolumne über die Einsamkeit geschrieben. Ich erzählte darin von einer Frau, die offenbar sehr allein war, denn sie suchte im Café das Gespräch mit mir und erzählte von früher, als sie noch Arbeit hatte. Irgendwann sprach sie davon, wie teuer alles gewesen sei, unter anderem Regenschirme. Das hat mich gerührt. Den obenstehenden Satz schrieb Bettina Strang als Kommentar zu diesem Text und endete mit den Worten: „Es gibt viel zu behüten.“ Er fällt mir immer wieder ein seitdem, beim Lesen und beim Leben.

Hier soll es ums Lesen gehen. Gleich zwei Gedichtbände haben mich in den letzten Wochen erreicht. Zuerst lag Timo Brandts Buch „Ab hier nur Schriften“ in Briefkasten, einige Zeit später „Wachsen lassen“ von Bettina Strang. Beide haben mir sehr besondere Stunden beschert, und ich werde sie beide immer wieder zur Hand nehmen. Zuerst ein paar Worte zu Timo Brandts Lyrik, denn die war ja zuerst da und außerdem gibt es eine hübsche Klammer, wenn ich mit Bettina Strangs Buch ende.

Spieltrieb-Schätze: Timo Brandt

„Ab hier nur Schriften“… Selten hat ein Wort koketter geblinzelt. Wer verfolgt, was und wie Timo Brandt liest, welche Mengen und mit welcher Neugier, Genauigkeit Begeisterungsbereitschaft und Dankbarkeit, ahnt: Das Wort, die Schriften, sind ihm alles und das Gegenteil von nur. Und so vielseitig seine Lektüren sind, so variantenreich und heterogen ist auch der Sound seiner Gedichte.

Wirklichkeiten zu entstraucheln

und dünne Linien zu hauchen,

die als Naht entlang der Seele dienen können,

 wollen wir das versuchen?

Brandt versucht jedenfalls, unermüdlich, sucht im Megaschatz der Worte und Ausdrucksformen, in den Sprachen und Zeichen, dreht und wendet, kippt und verkehrt, konfrontiert und verbrüdert, experimentiert und spielt. Dieser Spieltrieb kann in schwindelerregenden Reihungen münden, in denen die Worte, man dachte man kenne sie, ganz neue Seiten an sich zeigen. „Chatwins“, das in einer „Sandberatung“ beginnt (was mag das sein?) endet so:

Soweit wir auch geraten sind – noch keine Seele, die das endlich nennt/ Unablässig unaussöhnlich. Unabsehbar unerhört.

Oder in ganz tänzelnden Versen wie in dem köstlichen kleinen Poem „Mit der ich einst Lasagne aß (wer hier Pate steht, steht drin. Hätte es aber nicht müssen. Brandt kennt die Dichter:

Mit der ich einmal Jandl las

Ganz oft verstand sie keinen Spaß

Bei der ich mich nachts wiederfand

Die wild in meinen Wünschen stand

Das letzte Wort war nie ein Kuss

An die ich manchmal denken muss

Kreiselnde Wendungen

Oder in Sentenzen, Näherungen, Kreiseln wie in „Fragmente einer Sprache des Wunders“, aus dem die zu entstrauchelnden Wirklichkeiten stammen, siehe oben, oder in dem vier Seiten langen rätselhaften „Wider den Tag, dem 23.“, in dem man, liest man langsam und legt Schicht für Schicht frei, Wendungen findet, an denen man noch lange grübelt, ihren ganzen Inhalt vorerst nur ahnend:

wir wollen Hoffnungen wie batterien / zum einsetzen, entsetzlich / ersetzlich

 ist so eine, oder:

Willkürlich Patiencen über allen vorgemerkten Wünschen / der Haut / sehr verbreitet, diese Geduld, dieses Legen.

Es gibt eine Absicht, doch auch die / hat sich ergeben.

 Man muss diesen Satz ein paar Mal kauen. Man kann an vielen dieser Gedichte lange kauen, sie immer wieder lesen. Und wie auf einem Wimmelbild findet man immer wieder neues: Schräges. Selbstverständliches. Nur umständlich denkend verständliches. Sinnhaftes und Sinnliches.

Gereimte Zerbrechlichkeiten: Bettina Strang

 „Wachsen lassen“ heißt der schlanke Gedichtband, eine Pusteblume ist darauf und beides, Titel und Bild, sagen so viel über diese Gedichte. Vor allem das „lassen“. Bei Bettina Strang hat jedes noch so komplizierte, störrische, ungebetene, unheimliche Gefühl seine Berechtigung, seinen Platz in der Welt – und sie findet für alles Worte. Gibt es keines, schafft sie eines: Mutterwissen. Propellerhaar. Nachtgesicht. Mittwochabendmut. Welten entstehen in diesen Worten. Da wird „Haut von Wärme glattgeliebt“, „Die Werbung wild zerküsst. Das Haar zerzaust von Dialogen“ und „die Zeit im Kaffee weggerührt.

Die blanke Nacht treibt jeden Tag

hinaus ins weite Scheitern.

Ich werd mit meinem Gummiboot

Den Horizont erweitern.

 Die komplette letzte Strophe des Gedichts „Verschoben“, die am Anfang des Textes steht, beginnt mit den Worten „Nicht ein noch aus. Ich bau ein Nest /  aus Stahlbeton und Schnüren…“ Ich habe es ausgewählt, weil es so gut zeigt, wie diese Dichtung in ihren hellen, daunenleichten – oder: pusteblumenleichten – Reimen auf den ersten Blick so verspielt und harmlos daherkommt, einen im nächsten aber regelrecht wegdongt, weil so viel Verletzlichkeit, Zweifel, Demut und oft Abschied in ihnen steckt. Zartbitter gehen hier Lieben, wie in „Gehofft“:

Der Morgen zeigt sich. Gnadenlos

Erstarrt, was zärtlich war.

Du gehst. Ich zahle für uns beide

Mit Illusion in bar.

Ohrwürmer und Weisheiten

 … und Menschen, wie in dem stillen Gedicht „Im Zimmer“, dessen eine Zeile „Der Morgen zerrt am Gegenlicht“ mir immer einfällt, wenn der Tag sich den Himmel krallt:

Nur Blick. Hält Hand. Kein Druck. Jetzt nicht!

Das Linnen weiß. Wie das Gesicht.

Wenn Stille klirrt, hilft nicht mal Schweigen

Du gehst. Ich nicht. Ich lern zu bleiben.

Wenn Stille klirrt, hilft nicht mal Schweigen: Viele Zeilen in Bettina Strangs Gedichte sind Bilder, Aphorismen, die man, einmal gelesen, ohrwurmgleich, nicht mehr los wird. Will man auch nicht. Denn im Gegensatz zu anderen Weisheiten tanzen sie.

Rein heitere gibt es aber auch, und so taumelt man von Genau-so-fühlt-sich-das-an-Moment (…ich hätte es nur nie so auszudrücken vermocht) zu lustvollem Gelächter und wieder zurück.

Ich steh im Raps und denke mir: Schön!

Im Raps könnt ich zugrunde gehen.

Die Vorstellung, im Gelb zu liegen,

vereint mit Madenvolk und Fliegen,

taugt mehr, als wenn ich daran dächte

wie ich die Zeit im Grab zubrächte…

 …beginnt das „Morbide Rapsgedicht“. Es in einem Band zu wissen mit Zeilen wie diesen – das ist Reichtum. Man hat die Wahl: Eintauchen oder drauf surfen. Beides möglich, beides nötig:

Das Lachen hatte lange frei.

Die Worte dünne Brücken,

schön sachlich und bedeutungsfrei,

zwischen den Schweigestücken.

Ja. Es gibt viel zu behüten. Und so lange es Menschen gibt, die Gedichte wie diese verfassen, haben wir nichts zu befürchten. Das Zarte und das Spiel, beides ist dort gut aufgehoben.

 

Timo Brandt: Ab hier nur Schriften. Aphaia Verlag, 68 Seiten, ISBN: 978-3-946574-08-8

Bettina Strang: Wachsen lassen, BoD, 82 Seiten, ISBN: 978-3-7528-3303-4

2 Antworten zu “Vom Behüten: Ab hier nur Schriften & Wachsen lassen”

  1. KATHARINA ROBKE sagt:

    Bitte mehr!!?

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